Freitag, 27. November 2009

Cafe „Einfahrt“

Wie er sich plagt, sein Hals wird fest, man sieht seine Sehnen. Immer mehr Blut presst sich in sein Gesicht und färbt es gefährlich rot.

Herwig spielt Be-Bop. Ein Schlagzeuger, ein Bassist und Herwig. Ich erwartete heute eckige Musik. So nenne ich den Jazz mitunter. Aber ich höre weiche, harte, dumpfe und schrille aber runde Töne. Hinauf und hinunter zirkulieren Herwigs Finger auf seinem Saxophon. Weiß er, welchen Ton er als nächstes spielen wird? Oder den übernächsten? Oder lässt er seine Stimmung entscheiden?

Der Klub, viel länger als breit und an seinem Ende eine Bühne, klingt gar nicht nach Betonröhre oder Badezimmer. Er klingt sehr nach Klub. Nach einem Jazzklub mitten in Wien. Nicht New York, nicht Prag. Wien. Es ist schön hier in dieser Stadt zu leben, sich nicht nach Greenwich Village sehnen zu müssen, oder in den kleinen verrauchten Bierjazzkeller in Prag.

Man braucht nur am Karmelitermarkt in die „Einfahrt“ zu gehen und schwupp sitzt man in einem äußerst klubbigen Jazzklub.

Heizungsrohre führen an der Decke längs durchs Lokal und enden über den Musikern. Es ist kaum mehr Platz zum sitzen frei, nur mehr an Plätzen an denen man nicht zur Bühne sieht. Heute wollen alle das Trio bewundern. Viele drängen sich an die Schank um immer wieder Platz zu machen für den Kellner und seinem Tablett.

Sieht das Jazzpublikum eigentlich anders aus als sagen wir Rock- oder Westernfans oder Heurigengäste?

Ja, klar. Jazzer sind immer von einer intellektuellen Wolke umgeben. Bloß nicht anmerken lassen, dass man vom Jazz keinen Tau hat.

„Stan Getz?“ „Ja genau!“

Alles Profis, was den Jazz anbelangt. Ich fühle mich gerade deshalb hier sehr wohl.

Sie sind mir in diesem Punkt alle überlegen. Alle. Ohne Ausnahme. Da kann ich doch eine Menge lernen, oder?

Café Raimundhof

Hier im Café Raimundhof habe ich eine Ecke gleich neben dem Eingang gefunden, in der ich das Lokal überblicke und in Ruhe schreiben kann. Ich höre einen modernen Country im Dreivierteltakt von irgendwo aus den Lautsprechern.

Vor der Theke aus unverputzten Ziegelsteinen, spricht aufgeregt ein Schwarzer mit dünnen Rastalocken in sein Telefon.: “Weiß nicht warum sie mich gefragt, habe nix gemacht! Ich frag sie was sie jetzt mit mir machen wollen, sagt Polizist wir bringen dich jetzt um Ja! Echt! Hat er gesagt! Das ist nicht in Ordnung, oder?”

Carl, so nenne ich ihn jetzt, da ich seinen wirklichen Namen noch nicht kenne, sitzt also auf einem ledernen Barhocker und hält ein Schreiben in der Hand, offenbar ein Vernehmungsprotokoll. “Ich sollte nix unterschreiben auf Papier. Ich bin ja so was von blöd!”

Claudia, die Kellnerin, fragt beiläufig zwischen zwei Bissen in ihren Hamburger: “Wo war denn das?” wohl eher um den Gast bei Laune zu halten. Mit der Antwort zufrieden, widmet sie sich dem Reinigen der Whiskyflaschen, die verkehrt herum in ihren Schnapsspendern hängen.

Wieder wählt Carl eine Nummer auf seinem Handy, das Problem schein noch lange nicht aus der Welt zu sein. Claudia fertigt inzwischen einen Gast ab, der zahlen will. Sie ist klein und schlank und hat ein sehr schmales Gesicht und ihre dunkelbraunen Haare zu einem lässigen Haarknopf zusammengebunden. Ihr schwarzes breites Stirnband verleih ihr automatisch betriebsame Emsigkeit. Beharrlich widmet sie sich wieder ihren Spirituosen. Alles muss glänzen.

Ich höre das Plätschern des Abwaschwassers als sie den Schwamm ausdrückt. “Was hat Anne gesagt?” wirft sie einen kurzen Satz zu Carl hinüber.

Der spricht aber schon ins Telefon, offensichtlich mit einem Beamten der Polizei, er lässt den Vorfall nicht auf sich beruhen. “Ich möchte wissen warum man mich mitgenommen hat. Wie? Montag in die Billrothstrasse soll ich hinkommen? Also gut, am Montag dann, danke, Adieu!”

Carl steckt in engen ausgewaschenen Jeans und hate eine weite schwarze Kapuzenjacke über seinen schlanken Körper geworfen. “Ich hab doch nix gemacht. Ein Freund ist gestorben in Frankreich. Und ich war bei Freunden um zu trauern. Wir haben eine Flasche Whisky auf ihn getrunken.”

Ich müsste Carl erklären, dass nicht er das Ziel der Observation war sondern seine Freunde, die sich vielleicht etwas zu Schulden kommen haben lassen. Aber ich bin der stille Beobachter, der Unsichtbare diesmal. Diesmal suche ich nicht das Gespräch. Ich suche die Gedanken. Ich suche die Gedanken der Gäste im Café.

Claudia bringt mir Earl Gray mit etwas Milch. Auf ihrem hellvioletten T-Shirt steht in gotischer Schrift “Prahá”.

Das passt sehr gut zu ihrem slawischen Aussehen. Im Hintergrund singt ein französischer Chansonnier. Man versteht das Wort “Formidable!” "Was heißt formidable?" frägt sie Carl, in der Meinung, dass er französisch sprechen können müsste. Das heißt “wunderbar” fällt einem frisch bedienten Gast ein.

Ich wollte eigentlich Rioja, habe aber automatisch Tee bestellt. Eine Fehlleistung.

Neue Gäste am Tresen. Ein älteres Paar betritt das Lokal, und stellt sich glaich an die Bar. Sie sieht aus wie meine Tante Lilly, graublond, konservativer Haarschnitt, weiße Bluse und ihr Begleiter ist ein riesiger Kerl mit absichtlichem Glatzkopf. Sie begrüßen Carl, der reflexartig sein Handy zur Hand nimmt.

Lilly will mit Carl ins Gespräch kommen und fragt ihn, was er denn so mache: “ Jetzt? Oder überhaupt?” “Na Überhaupt.”

“Ich bin Musiklehrer, ja, ich habe 40 Schüler, 20 in Floidsdorf und 20 in Döbling. Na ja, es geht so, ich komme zurecht.”

Er unterstreicht sein Desinteresse am Gespräch indem er noch einmal ganz wichtig tut und eine Nummer auf seinem Handy wählt.

Die Stimmen an der Bar werden lauter und lauter, bis sie endlich die Chansons übertönten, die ich schon nicht mehr hören konnte.
Große ältere, glatzköpfige Männer scheinen in Mode gekommen zu sein. Der Neue lächelt eine Grußformel und streichelt freundschaftlich den Rücken der Eingesessenen.

“Ich kenne dich nun schon seit zwanzig Jahren versucht Lilly das Gespräch mit Carl wieder aufzunehmen. “Aber du siehst immer noch aus wie fünfzehn, als ich dich zum ersten Mal traf.” Gelächter. Aber nur kurz, die Glatzen sind beim politischen Tagesgespräch angelangt Kanzler, Präsident, Koalitionsverhandlungen, Grinseteam. Wortfetzen erreichen mich und ich kann mir die Ironie zusammenreimen.

Der freie Platz neben mir füllt sich mit weiteren Afrikanern. Einer mit weißer Baskenmütze, begrüßt die Runde mit Handschlag. Sie unterhalten sich auf französisch mit hartem Akzent.


Carls Geschichte:

Carl kam mit zwölf Jahren nach Wien. Seine Eltern kamen bei einem Überfall auf ihr Dorf um. Rebellische Milizen hatten das halbe Dorf ausgerottet.

Sie stahlen nichts, sie töteten nur. Was hätten sie auch mitnehmen sollen? Die staubige Wäsche? Die verbeulten Aluminiumpfannen? Die grob geschnitzten Dämonenmasken, die vor jedem Haus wachten?

Carl war mit einigen Freunden am Fluß. Sie suchten nach Schwemmgut im Uferschlamm.

Das hatte ihn und die Jungs gerettet. Von weitem hörten sie das unregelmäßige knattern der Schüsse und die bellenden Kommandorufe. Sie hatten sich im alten Ford versteckt, der auf einer Schotterbank verrostete. Dem Pickup fehlten die Reifen und irgendjemand hatte die Sitzbänke in seine Wohnung geschleppt. Niemand würde das Wrack durchsuchen, hofften sie. Als sie sich in der Dunkelheit zurückwagten, lebte das Viertel um Carls Elternhütte nicht mehr. Sein Onkel Bato empfing ihn an den Stufen der Eingangstüre und versperrte ihm den Eingang zur Hütte. “Nicht! Nicht dahin; deine Eltern sind tot. Ich bringe dich zu Tante Isabell nach Boto. Dort kannst du eine Weile bleiben.

“Ich war damals starr vor Angst, Ich konnte nicht denken und ließ mich vom Onkel in den Holzwagen legen, auf den er alles mögliche aus dem Besitz meiner Eltern aufgeladen hatte.

Der Ochse brauchte wohl die ganze Nacht bis Boto.
Ich schlief nicht, ich zählte die Sterne, dann die Wolken und dann den Regen.

Café im W3C

Im Café sind noch viele Tische unbesetzt, aber er wählt seinen Platz so, dass er direkt vor dem Durchgang sitzt, seine Augen geradeaus auf die vorbeiströmenden Menschen gerichtet. Es ist nicht, weil er die Menge überblicken möchte, er will gesehen werden.

Seien dunkle Hautfarbe und sein schwarzes Kraushaar lässt auf afrikanische Herkunft schließen. Aber da ist etwas in seinen Augen, das nicht so richtig dazupassen will. Die Form seiner Nase, seine Bewegungen, die Art wie er sich eine Zigarette anzündet, erzählt eine völlig andere Geschichte. Die drei glatzköpfigen Weissen in Fliegerstiefeln, nahmen keine Notiz von ihm. Der ihm am nächsten saß, schnappte sich ohne ein Wort zu sagen, den Sessel, auf dem eine Tasche abgelegt war.

Café Bluebox

“Eigentlich könnte man sich daran gewöhnen, dass die Köchin gerade einkaufen ist. Ein weiterer Schritt zur Langsamkeit. “

Von Doris Erkenntnis beeindruckt, schrieb ich eine Notiz in mein Skizzenbuch.

Es fühlt sich an wie “blauer Montag”, das Café Bluebox an einem Mittwoch Morgen. Ein Morgen der Langsamkeit. Wir hatten uns zwei Tage freigenommen, um als Touristen durch Wien zu wandern, in Kaffeehäusern zu sitzen und einige Ausstellungen zu besuchen.

Zu beginn der Städtetour war ein ausgiebiges Frühstück angesagt. Zuvor kauften wie uns in einer Non.Profit-Buchhandlung ein paar Bücher von Jane Lidloff, Thomas Bernhard und Peter Handke. Und das, obwohl ich mir diesmal kein Buch kaufen wollte und wenn, dann nicht schon wieder den Handke.

Aber es schien aus den Regalen zu schreien: “Erlöse mich, ich bin um gelesen zu werden und nicht um zu vergilben.” Schrie es nicht so aus allen Büchern? So könnte man fragen. Aber Handke schrie aus seinem Buch so eindrucksvoll und bedeutungsschwer wie nur er es konnte. Das Schreien traf meine Seele, griff nach meinen Sehnsüchten und zerrte die heraus, die Handke hieß.

Wir waren die ersten Gäste im Lokal. Ein kalter Terrazzoboden und alter Zigarettenrauch ließ mich kurz zögern.

Ein freundlicher Kellner mit längeren zurück gebundenen Haaren und alte Hollywoodmusik ließ uns bleiben. “Zwei Frühstück bitte!”

“Tut mir echt leid, aber die Köchin ist grade einkaufen. Kaffee?”

Die dicke Köchin zwängte sich mit zwei großen Einkaufstaschen durch die Doppeltüre.

“Zwei Frühstück? Kommt gleich!” triumphierte der ungewöhnlich gut gelaunte Kellner. l

Samstag, 14. November 2009

Dasein

Vorüber gehen Nacht und Wind.